Leseprobe

stella magicae - von den sternen erwählt


*Kapitel 1*

 

Destiny

 

Vier Wochen lang waren wir durch die Schwärze des Alls geflogen und hatten uns nur eingeschränkt auf dem Raumschiff bewegen dürfen. Wir wussten schon lange, dass es Leben in der Andromeda-Galaxie gab. Immer wieder war in den Medien davon berichtet worden. Die Menschen hatten dort vor etwa hundert Jahren eine neue Kolonie aufgebaut, Nachkommen gezeugt und immer wieder waren Raumschiffe von den verschiedenen Weltraumbahnhöfen der Erde in ein neues Leben gestartet. Aber trotzdem hatte man uns bis zum bitteren Ende in dem Glauben gelassen, dass der wunderschöne Planet Erde noch zu retten sei. Es würde reichen, wenn Menschen den Planeten verließen, um die Überbevölkerung zu beenden. Andere Lebensweisen sollten helfen, dass sich die Erde wieder erholen kann. Die Politiker hatten uns Hoffnungen gemacht. Leere Versprechen waren durch die Medien gehallt, dass der Rest der Menschheit den Planeten nicht verlassen müsste. Wir würden unser Zuhause nicht verlieren, hieß es seitens einiger anerkannter Wissenschaftler. Doch auf der anderen Seite wussten die Klimaforscher und Klima-Aktivisten seit einer gefühlten Ewigkeit, dass die Politiker schon längst in ihrem Job versagt hatten und nur noch heiße Luft an unsere Ohren gedrungen war. Wir hatten die Erde zum Tode verurteilt. Und nur, wenn die gesamte Menschheit den Planeten verließ, konnte man den blauen Planeten noch retten, indem man ihm die Zeit gab, sich selbst zu regenerieren.

Bald kamen die Raumschiffe, um uns abzuholen. Wir, die anderen Heimkinder und ich, hatten kaum die Zeit gehabt, um das Nötigste einzupacken, bevor unsere Reise ins Unbekannte losgegangen war. 

Eine Herausforderung für mich, mit all den fremden Menschen um mich herum, die ich nicht hatte einschätzen können. Sie hatten mich nervös gemacht, was meine Fähigkeiten, die ich schon seit meiner frühesten Kindheit besaß, dazu veranlasste sich stellenweise unkontrolliert zu zeigen. Dies war ein Umstand, der mich dazu gebracht hatte, die Zeit alleine zu verbringen und mich die meiste Zeit in meinem Quartier auf dem Schiff aufzuhalten. Nur meine beiden Freunde Summer und Martin hatten sich zu mir getraut. Alle anderen hatten mich für verrückt und gefährlich gehalten. 

Unsere neue Heimat hieß Castronia. Die geläufigsten Sprachen hier waren Englisch und Latein, wie man uns vor der Landung erklärt hatte. 

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Während ein sanfter Wind meine Haare leicht zerzauste, hörte ich, wie sich mir Schritte über die aus Stahl bestehende Plattform näherten. Summer und Martin, meine besten und einzigen Freunde, stellten sich rechts und links neben mich.

„Alles in Ordnung?“, fragte Martin und sah mich leicht besorgt an, während ich meinen Blick schweifen ließ. Er legte eine Hand auf meinen Rücken. So wie auch Summer sorgte er sich um mich. Sie kannten mich seit Jahren und wussten von meinem schüchternen und zurückhaltenden Charakter.

„Geht schon. Und bei euch?“, antwortete ich kurz. 

Beide zuckten mit den Schultern. Ich sah Unsicherheit in ihren Auren. Auch meine Freunde mussten erstmal ankommen und sich zurechtfinden. Sie waren genauso von ihrer Vergangenheit geprägt wie ich.

Ich hasste fremde Umgebungen. Alles Fremde macht mich unfassbar nervös. Und diese Welt war anders als alles, was ich bisher in meinem Leben gesehen hatte. 

Der Planet sah aus wie eine riesige Stadt. Zwischendurch unterbrachen Bäume und Parkanlagen das Bild aus bewachsenen Häuserfronten. Richtung Norden erstreckte sich ein Gebirge in den Himmel. 

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Summer mich und hielt mir eine Flasche Wasser hin. Kopfschüttelnd lehnte ich jedoch ab. Sie ließ die Hand wieder sinken.

„Nein, danke“, antwortete ich leise. Die unbekannte Stadt machte mir Angst. Ich blickte weiter in Richtung der Berge.

Das Gebäude davor, mehrere hundert Meter Luftlinie von meiner Position entfernt, erweckte jedoch eher meine Aufmerksamkeit. Der trapezförmige Bau mit der Glasfassade und dem hohen Turm auf dem Dach hatte etwas Vertrauenserweckendes, als ginge eine Energie von ihm aus, die mich magisch anzog. Bäume und bunte Blumen waren auf dem Dach zu erkennen. Grüne Ranken ließen das moderne Äußere lebendiger erscheinen. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich mit diesem Ort verbunden und das vom ersten Augenblick an. Sein Anblick beruhigte mich. Ich konnte alles andere um mich herum ausblenden, es ignorieren. Die Plattform, auf der ich stand, und der Wolkenkratzer schräg hinter mir waren auf einmal nicht mehr präsent. Die knapp fünf Zentimeter großen Zauberwürfel in meiner Hand, mit denen ich mich immer ablenkte, spielten keine Rolle mehr, als mein Blick auf dem Gebäude lag. Es faszinierte mich so sehr, dass ich mich kaum davon lösen konnte. Doch die tiefe Stimme unseres Betreuers riss mich aus meinen Gedanken. Wir seufzten alle drei genervt.

„Destiny, du verrücktes Ding. Was machst du hier draußen? Und was habt ihr anderen beiden hier zu suchen?“, schallte seine unverkennbare Tonlage über den Platz vor dem Sky Tower, wie man den Wolkenkratzer nannte, der unser neues Zuhause werden sollte. 

Summer zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte Angst vor Männern, seit sie in ihrer Kindheit von ihrem Vater sexuell missbraucht und eingesperrt worden war.

Seufzend wandte ich mich um und die Rubik Cubes in meinen Händen wurden wieder relevant. Fest ballte ich meine Fäuste darum und kniff die Augen zusammen. Ich hasste diesen Mann so sehr, wie er mich hasste. Er war nervig, unfair und unfassbar gemein. Schon seit Jahren machte er mir mein Leben im Heim zur Hölle und machte auch keinen Hehl daraus, vor anderen mit seinen Gemeinheiten zu prahlen, die er mir antat. Beleidigungen waren dabei noch das kleinere Übel. Nur wenige hatten mich je vor ihm verteidigt. Eigentlich nur Summer und Martin, die mir auch jetzt beide beruhigend ihre Hände auf die Schultern legten.

Langsam gingen wir zum Eingang und betraten das Gebäude. Mein Betreuer beobachtete mich skeptisch. So sehr er mich auch hasste, seine Angst vor mir war mindestens genau so groß. Er hielt mich für verrückt. Wie die meisten, die wie ich auf einem Hof in Los Angeles gelebt hatten. Ein Heim für Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten. Für uns gab es keine Pflegeeltern, die es lange mit uns ausgehalten hätten. Nach dem Tod meiner Eltern war ich bei insgesamt drei Familien gewesen. Aber ich war nie lange dortgeblieben. Niemand wollte mir ein neues Zuhause schenken. Also blieb ich irgendwann im Heim und hatte dort mein bisheriges Leben verbracht. Verwandte hatte ich leider keine, zu denen ich hätte gehen können. So hatte ich gelernt, mit meinem Schicksal zu leben. Und da ich in den USA noch nicht als volljährig galt, musste ich das tun, was meine Betreuer mir sagten.

„Sieh zu, dass du in dein Zimmer kommst und deine Sachen auspackst. Und zwar ein bisschen plötzlich jetzt. Das gilt auch für euch beide. Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie ihr mit dieser Verrückten rumhängen könnt“, maulte Mr. Stevens mich an und ich warf ihm einen eisigen Blick zu. Eine Gänsehaut überzog seine nackten Unterarme und ich sah, wie er sich schüttelte, so nah musste ich an ihm vorbei.

Mr. Stevens war der Bezugsbetreuer der Heimgruppe, in der auch ich damals untergebracht worden war. Neben ihm gab es noch andere Betreuer, die sich um unser Wohlergehen kümmerten. Doch er hatte das Sagen. Mitchell Stevens war ein großgewachsener Mann mittleren Alters. Er hatte dunkelblondes, bereits leicht gräuliches Haar und war die meiste Zeit eher griesgrämig drauf. Doch egal welches Wetter draußen herrschte: Man traf ihn immer nur in kurzer Hose und T-Shirt. 

„Ich bin schon unterwegs“, sagte ich und beschleunigte meinen Schritt, bevor er auf die Idee kommen konnte uns zu folgen und mir etwas darüber zu erzählen, dass ich meine Fähigkeiten bei mir behalten sollte.

„Destiny, darüber reden wir noch“, rief Mr. Stevens mir hinterher, als ich in den Aufzug stieg, aber ich ignorierte seine Worte. Ich lehnte mich an die Wand der Kabine und atmete ein paar Mal tief durch. Martin drückte sanft meine Hand.

„Lass dich von dem Mistkerl nicht ärgern“, sagte er beruhigend zu mir, was mich seufzen ließ. Das war leichter gesagt als getan. 

Irgendwie hatte ich die dumme Vermutung, dass das Leben hier, auf diesem fremden Planeten, noch einige Überraschungen bereithalten würde. 

Von meinem Zimmer im zehnten Stock aus konnte ich das Gebäude sehen, das mich zuvor so sehr in seinen Bann gezogen hatte. Mit gefühlt jedem Schritt, den ich in meinem neuen Zimmer machte, blickte ich aus dem Fenster, während ich die beiden Reisetaschen und die zwei Koffer auspackte, die ich vor unserer Abreise eilig gepackt hatte. Dreißig Minuten Zeit hatte man uns damals gegeben. Und dieser Moment lag nun eine gefühlte Ewigkeit zurück und die Erinnerung daran erschien mir unwirklich, wie nie geschehen. Und bei einer Tasche fiel mir das Auspacken sehr schwer. 

Mit Tränen in den Augen blickte ich auf den Inhalt, nachdem ich den Reißverschluss wie in Zeitlupe geöffnet hatte. Eine Mischung aus glitzernden Pailletten und Straßsteinen, gepaart mit neutralen Farben waren in der Tasche verteilt. Eiskunstlauf und Reitsport waren meine großen Leidenschaften gewesen, wobei das zweite sogar Pflichtprogramm auf dem Hof gewesen war. Trotzdem hatte ich es geliebt. So sehr, dass ich mit dem Wissen, beidem vielleicht nie mehr nachgehen zu können, kaum leben konnte. Das Reiten und der Eiskunstlauf waren immer meine Flucht aus dem Alltag gewesen. Wenige Stunden, an denen ich abschalten und ich selbst sein konnte. Meine Ängste und Sorgen waren dann immer wie weggeblasen gewesen. Mein Herz zerbrach in tausend Stücke, während ich weinend in die Tasche blickte. Darum ließ ich sie unausgepackt unter dem Bett verschwinden, nachdem ich den Reißverschluss hektisch wieder zugezogen hatte. Was ich nicht sah, war praktisch nicht da. So einfach war das.

Stur wischte ich die Tränen von meinen Wangen und stellte meine Lieblingsbücher, die ich mitgenommen hatte, und ein paar Bilder und Dekorationsgegenstände auf das weiße Wandregal. Mein geliebtes Plüschtier, eine kleine Katze, legte ich auf mein Kopfkissen. Dieser Raum, diese wenigen Quadratmeter, waren nun vorerst mein Zuhause. Also sollte er ein bisschen persönlicher sein, bis wir wussten, was nun mit uns geschehen sollte. Gab es hier Ausbildungsberufe, wie auf der Erde? Oder Colleges und Universitäten? Darüber wusste bisher niemand etwas. Zumindest ich hatte darüber nichts erfahren. Aber ich war mir sicher, dass Summer und Martin mir etwas erzählt hätten, hätten sie Informationen darüber bekommen. 

Auf der Erde waren die meisten noch zur Schule gegangen, hatten die High School besucht. Und nun tappten wir im Dunkeln, was unsere Zukunft betraf. Informationen über die neue Heimat waren auf der vierwöchigen Reise rar gesät gewesen. Fragen, die wir gestellt hatten, waren nur ausweichend beantwortet worden. 

Ich wollte Sport studieren, mein Hobby zum Beruf machen, eines der beiden. Aber nun hatte ich keine Ahnung, wie es mit meinen Freunden und mir weitergehen würde. Und diese Ungewissheit machte mich nervös, unruhig. Darum wandte ich meinen Blick wieder aus dem Fenster. Aber nur so lange, bis es an der Türe klopfte und ich kurz erschrocken zusammenzuckte.

„Herein“, rief ich, hielt meinen Blick aber aus dem Fenster auf das trapezförmige Gebäude gerichtet. Das leise Zischen der Automatiktüre verriet, dass Summer und Martin den Raum betraten. Wenige Sekunden später setzten sie sich neben mich auf den Boden. Einer rechts, einer links. 

„Was das wohl für ein Gebäude ist? Dort hinten, dieses trapezförmige mit dem bewachsenen Dach?“, stellte Summer eine Frage in den Raum, die niemand von uns genauer beantworten konnte. 

„Gute Frage“, antwortete ich. „Aber was auch immer es ist, es fasziniert mich. Es zieht mich irgendwie magisch an.“

Die Blicke von Summer und Martin lagen direkt fragend auf mir. Wenn ich mit ihnen alleine war, schwanden meine Ängste ein wenig.

„Meinst du, das hat mit deinen Fähigkeiten zu tun?“, fragte Summer und ihre blonden Haare fielen locker über ihre Schulter, als sie ihren Kopf weiter in meine Richtung drehte. 

„Vermutlich“, antwortete ich vorsichtig, da ich immer sehr unsicher war, was die Reaktionen meiner Freunde auf die ungewöhnlichen Fähigkeiten betraf, die ich beherrschte. 

„Hey, alles cool. Weißt du doch“, meinte Martin, der meine Unsicherheit spürte und legte eine Hand auf meine linke Schulter. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und ein Blick auf die Auren meiner Freunde verriet mir, dass keinerlei Feindseligkeit oder Furcht in ihnen lag. Sie hatten noch nie Angst vor mir gehabt, im Gegensatz zu allen anderen.

Martin war von Anfang an sehr aufgeschlossen mir gegenüber gewesen. Er war auch ein Vollwaise und im Heim aufgewachsen. Doch seine Lebensgeschichte war noch etwas dramatischer als meine. Denn sein Vater hatte seine Mutter aus Eifersucht getötet. Martin hatte den Angriff seines Erzeugers schwer verletzt überlebt.

„Es fühlt sich an, als wären meine Fähigkeiten hier stärker, oder die Energie, die sie auslöst. Es ist schwer zu erklären“, versuchte ich meine Gedanken in Worte zu fassen, die seit unserer Ankunft vor wenigen Stunden, durch meinen Kopf rasten. „Du musst nichts erklären, Desy“, sagte Summer dazu und lächelte mich an. „Für uns alle ist diese Welt neu und fremd.“

„Ja, was unser lieber Mr. Stevens wahrscheinlich direkt ausnutzen wird, um zu versuchen, mich loszuwerden“, sagte ich dazu und richtete meinen Blick wieder aus dem Fenster.

„Wir haben vorhin, bevor wir zu dir raus kamen, mitbekommen, wie er mit Mrs. Diondrju an der Rezeption sprach. Er hat sich danach erkundigt, wo man mit Leuten hingehen kann, die seltsame Dinge können“, erzählte Martin und klang dabei ziemlich abwertend. 

„Wer weiß. Vielleicht gibt es hier ja noch andere Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten“, meinte ich dazu, machte eine Handbewegung in die Luft, als wenn ich nach etwas griff, und ließ einen knapp fünf Zentimeter großen Eiskristall auf meiner Handfläche entstehen. „Und wenn das der Fall ist, gehe ich eventuell sogar freiwillig dorthin, um Mr. Stevens endlich zu entkommen.“