Leseprobe

STella magicae - in giftigen welten verloren


*Kapitel 1*

 

Destiny 

 

Das Wetter auf Castronia war eisig. Der Winter stand vor der Türe und die Temperaturen lagen gerade mal knapp über dem Gefrierpunkt. Eine dünne Eisschicht bedeckte die Straßen und Wege der ewig belebten Stadt. Der Park nahe des Tempels sah aus wie aus einem Märchen. Das Gras und die kahlen Bäume waren eingefroren und das Eis glitzerte im fahlen Licht der Laternen. Es war bereits spät am Abend und ein wolkenloser Sternenhimmel erhellte die voranschreitende Nacht.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. So viele Gedanken, so viele Fragen stürmten durch meinen Kopf, auf die nur Arilian und die Guardians mir Antworten liefern konnten. 

Ich hatte bei Summer Schutz gesucht. Erzählt hatte ich ihr nichts, außer das, was passiert war, über das ich nachdenken musste. Aber sie war nicht blöd. Summer kannte mich gut genug und als ich ihre Frage, ob es etwas mit Arilian zu tun hatte, nicht sofort beantwortet hatte, war ihr direkt klar gewesen, dass da mehr war, als ich sie wissen ließ.

Doch so sehr ich mich auch dagegen sträubte, nach wenigen Stunden trieb mein Herz mich zurück in den Tempel, zurück zu Arilian. Ich spürte, dass es ihm nicht gut ging und ließ Summer mit einem entschuldigenden Blick allein in ihrem Quartier im Sky Tower zurück. Die guten Erinnerungen überwogen das Gefühl von Betrug, dass sich in den letzten Stunden in meinem Kopf festgesetzt hatte. 

Ich lief den kürzeren Weg durch den Park zum Tempel, anstatt über die belebte Hauptstraße, auf der sich trotz der eisigen Temperaturen viele Menschen herumtrieben. Eingehüllt in warme Jacken und Mäntel eilten sie die Wege entlang, wie ich sehen konnte, wenn ich in die Gassen zwischen den Häusern auf die Hauptstraße blickte. Im Park war eher wenig los und ich beeilte mich, um zurück ins Warme zu gelangen. In meiner Eile, einfach wegzukommen, hatte ich keine Jacke angezogen, weil ich dafür zurück in unser Quartier gemusst hätte. So lief ich, nur in meiner Uniform durch den eingefrorenen Park. In den Bäumen hingen noch die Lichterketten, die zu Beginn des Winters aufgehängt worden waren. Gemeinsam mit den anderen Guardians und der Bevölkerung von Castronia, hatten wir an diesem Ort das Jahreswechselfest, Annus Novus wie wir Guardians es nannten, gefeiert. Eine Mischung aus Weihnachten und Silvester. Es war ein wunderschöner Abend gewesen. Die geschmückten Bäume, Feuerschalen, Baumstämme als Sitzmöglichkeiten und dazu warme Decken. Es waren Geschenke untereinander ausgetauscht worden, die symbolisierten, dass man an den anderen dachte. Ich hatte manche Guardians besser kennengelernt und mich auch mit einigen der Bewohner ausgetauscht. Und sogar Summer und Martin waren da gewesen. 

 Mit jedem Schritt kam ich dem Tempel näher und betrat ihn durch den Stall. Kurz begrüßte ich Aurora und nahm mir ein paar Minuten Zeit, um mit ihr zu kuscheln. Doch mein Herz schrie nach Arilian, mein Körper sehnte sich nach seiner Nähe. Dazu das ungute Gefühl, das mein Herz noch mehr zerriss. 

„Es tut mir leid, meine Süße. Aber ich muss zu Arilian. Irgendwann stimmt nicht“, sagte ich und schaute zu Firefly. Ich bildete mir ein, einen flehenden Ausdruck in seinen Augen zu sehen. Da der schöne schwarze Friese aber Arilians Seelenpferd war, fühlte er ebenso, dass es seinem Freund nicht gut ging.

„Ich kümmere mich um ihn“, versprach ich Firefly und eilte die Stallgasse entlang zum Korridor und ins Foyer. Der große Raum lag ruhig da, kaum einer trieb sich zu dieser Zeit noch draußen herum. Bis auf eine Person, die mit besorgtem Blick auf mich zugeeilt kam.

„Destiny. Bin ich glücklich dich zu sehen“, nahm Magister Kendro mich in Empfang. „Du bist ja völlig durchgefroren.“

Er hatte eine Decke bei sich und legte mir diese um die Schultern. 

„Magister Kendro, was ist los? Ihr seht besorgt aus“, sagte ich zu ihm und versuchte, meine Stimme nicht zu aufgeregt klingen zu lassen, damit er keinen Verdacht schöpfen konnte. 

Bevor der Magister etwas sagte, hob er die Decke noch einmal an und nahm mir den Rucksack ab, den ich bei mir trug. Ich hatte einige meiner Habseligkeiten aus dem Sky Tower mitgenommen, die Summer für mich aufbewahrt hatte. Dann hängte er mir die Decke wieder richtig um und richtete seinen besorgten Blick wieder auf mich.

„Arilian geht es sehr schlecht“, sagte Magister Kendro und sofort zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. 

„Was ist mit ihm?“, fragte ich und Wotan Kendro deutete mir, ihm zu folgen.

„Er liegt auf der Krankenstation, weil er es mit dem Training übertrieben hat“, erklärte er mir kurz und zu den tausend Fragezeichen in meinem Kopf, gesellten sich weitere tausend dazu. 

Doch ich kam gar nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen, denn Magister Kendro eilte so schnell über die Flure, dass ich kaum hinterherkam. Ich verfiel in einen Laufschritt, um ihm überhaupt folgen zu können. 

Auf der Krankenstation lief mir Lily entgegen, und schloss ihre Arme um mich.

„Destiny. Verdammt, wo warst du? Ich habe mir total Sorgen um dich gemacht“, fragte sie anklagend, bis ihre Meisterin ruhig eine Hand auf ihre Schulter legte.

„Überfall sie nicht gleich so“, ermahnte Magistra Ontrée ihre Novizin und wandte sich dann an mich. 

„Alles in Ordnung?“, fragte sie mich mit einem freundlichen Lächeln und ich zuckte mit den Schultern.

„Geht so“, antwortete ich. „Aber was ist mit Pionier Firesky?“, fragte ich und konnte nicht verhindern, dass eine gewisse Ungeduld in meinen Worten mitschwang.

Magistra Ontrée führte mich den Flur entlang.

„Pionier Firesky leidet schon seit seiner Jugend an einer chronischen Rückenerkrankung. Eigentlich nimmt er deshalb täglich Medikamente, um die Krankheit im Zaum zu halten. Tut er das nicht, so wie in der letzten Zeit, sind schmerzhafte Entzündungen die Folge. Und das hat sich nun bemerkbar gemacht, nachdem er es heute aus Wut und Enttäuschung mit dem Training übertrieben hat. Und sei beruhigt, er wollte, dass wir es dir erzählen“, erklärte die Heilerin mir und blieb am Ende des Ganges vor einer Türe stehen.

„Davon hat er mir nie erzählt. Aber das erklärt, warum er beim Training immer so penibel darauf achtet, dass ich mich vernünftig aufwärme, bevor wir anfangen“, sagte ich und richtete meinen Blick nachdenklich und besorgt zugleich gen Boden. 

„Eigentlich geht Pionier Firesky auch guten Gewissens mit seiner Krankheit um und achtet vernünftig auf seinen Körper, um solche Schübe möglichst zu vermeiden. Aber in der letzten Zeit war er wohl ein wenig nachlässig“, meinte Magistra Ontrée. Ihre Worte lösten leichte Schuldgefühle in mir aus, was ich aber versuchte, mir nicht anmerken zu lassen.

„Kann ich zu ihm?“, fragte ich und lächelnd nickte die Heilerin mir zu. „Geh bitte mit ihr rein, Lily“, bat sie ihre Novizin und mit einem aufmunternden Lächeln betrat Lily vor mir das Krankenzimmer, in dem sie Arilian untergebracht hatten. Er sanftes warmes Licht erhellte den Raum ein wenig.

„Er schläft im Moment. Wir haben ihm starke Schmerz- und Schlafmittel gegeben, damit sein Körper erstmal in Ruhe heilen kann“, erklärte meine beste Freundin mir und ich blieb besorgt nahe der Türe stehen, meinen Blick auf Arilian gerichtet. 

„Na komm. Ich kümmere mich jetzt mal um dich, bevor du auch noch krank wirst“, meint Lily nach einigen Momenten zu mir, in den ich meinen Meister einfach beobachtet und versucht hatte, ihn über unsere mentale Verbindung wissen zu lassen, dass ich wieder bei ihm war.

Ein zweites Krankenbett stand in dem Raum und auf dieses deutete Lily.  Darüber leuchtete eine kleine Lampe, von der das sanfte Licht ausging. Als ich näher an das Bett heran ging entdeckte ich einen kuschligen langen Schlafanzug und erst da merkte ich, wie durchgefroren und müde ich wirklich war. Die kreisenden Gedanken, die vielen Tränen, die ich auch bei Summer vergossen hatte, und dazu die Sorgen um Arilian, hatten meine kompletten Energiereserven aufgebraucht. Kraftlos ließ ich mich auf das Bett sinken. 

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Lily und ich spürte, wie sie eine Hand auf meine Schulter legte, als ich mit gesenktem Kopf da saß und mich plötzlich einfach nur leer fühlte. Als wären alle Gedanken und Sorgen auf einmal verschwunden und hätten eine Leere zurückgelassen, die ein leichtes Schwindelgefühl in mir verursachte. 

„Irgendwie müde und kraftlos. Und mir ist unglaublich kalt“, ließ ich die angehende Heilerin wissen und Lily lächelte mich mitfühlend an.

„Ich besorge dir ein leichtes Schlafmittel und einen heißen Tee. Zieh dich schon mal um und mach es dir unter der Decke gemütlich“, sagte sie und nach einem Nicken meinerseits verließ sie das Krankenzimmer. Ich sagte nichts gegen ihre Worte, sondern war froh, dass Lily mir eine kleine Ansage gemacht hatte. Also griff ich nach dem Schlafanzug und ging damit in das Badezimmer, nachdem ich nochmal einen Blick auf Arilian geworfen hatte. Er sah so friedlich aus, wie er dalag und schlief. Doch ich sah die leichten Tränenspuren auf seinen Wangen und spürte noch immer, dass es ihm schlecht ging.

Ich beeilte mich, um aus meiner kalten Uniform rauszukommen, und zog den Schlafanzug an. Meine Sachen ließ ich im Badezimmer liegen und huschte schnell unter die dicke warme Decke. Es war zum Glück auch angenehm warm in dem Krankenzimmer, was die Kälte langsam aus meinen Gliedern verschwinden ließ. Meinen Blick auf Arilian gerichtet lag ich da, bis Lily wieder in den Raum kam. In der Hand hielt sie ein kleines Tablett mit einer Tasse darauf und einem kleinen Becherchen, mit einer Tablette. 

„So, hier“, sagte sie und stellte das Tablett auf dem Nachttisch neben dem Krankenbett ab. „Das wird dir guttun.“

Lily drückte mir die Tasse und direkt auch die Tablette in die Hand, als ich mich etwas aufgesetzt hatte. Ohne Meckern nahm ich das Medikament und trank von dem Tee, der sofort eine wohlige Wärme in meinem Körper zurückließ. 

„Danke“, sagte ich leise und lächelte Lily an.

„Nicht dafür. Ich lasse dich nun alleine. Heute Nacht ist Heilerin Source hier auf der Station. Sie wird ab und an nach dir und Pionier Firesky schauen“, sagte Lily und wandte sich wieder der Türe zu.

„Ist gut“, meinte ich noch und Lily wünschte mir eine gute Nacht, ehe sie das Zimmer verließ. 

Ich trank in Ruhe den Tee aus, stellte die Tasse weg und kuschelte mich wieder unter die warme Decke. Ich blickte erneut zu Arilian hinüber und nach wenigen Sekunden flammte ein einfacher kleiner Wunsch in mir auf. Also stand ich wieder auf, ging zu ihm und drückte vorsichtig seine Hand, die neben seinem Körper auf der Decke ruhte. 

„Ich bin wieder bei dir“, sagte ich leise und drückte Arilian einen sanften Kuss auf die Wange. „Gute Nacht. Ich liebe dich.“

Nach meinen geflüsterten Worten legte ich mich wieder unter die Decke und schaltete die Lampe aus. Lächelnd sah ich noch einmal in Arilians Richtung und hoffte, dass ihn meine kleine Geste im Unterbewusstsein erreicht hatte. Warum liebte ich ihn bloß so sehr? Doch ehe ich mir die Frage selber beantworten konnte, spürte ich, wie die Wirkung des Schlafmittels einsetzte, und ich langsam in einen ruhigen Schlaf driftete, den ich nach diesem Tag auch dringend nötig hatte.